Warum Garnelenaugen etwas mit der Temperatur für Tee zu tun haben, erklärt Liyang Sheng, unsere t-Kolumnistin

Oftmals werde ich während Tee-Workshops zum Thema Wassertemperatur gefragt. Was ist die richtige Temperatur für Tee? Brauche ich einen speziellen Wasserkocher mit Gradanzeige? Viele Teilnehmende haben zumindest schonmal gehört, dass es einige Regeln zu beachten gibt, und sind verunsichert, weil sie sich nicht mehr genau erinnern, was genau diese Regeln sind.
Ich muss zugeben, dass ich es mit den Temperaturangaben nicht allzu genau nehme. Außer grünem Tee brühe ich fast alle Tees mit knapp 100 Grad Celsius heißem Wasser auf und variiere eher bei der Ziehzeit. Viele Teeliebhaber haben da ihre ganz eigenen Regeln bezüglich der Temperatur und das Thema hat auch schon die ein oder andere Debatte entfacht. Drei Teetrinker, sieben Aufbrühmethoden.
Als Faustregel würde ich sagen: je kleiner und zarter die Blätter, desto hitzeempfindlicher sind die Blätter, so eben bei vielen grünen Tees und insbesondere auch japanischen grünen Tees. (Wer schonmal einen Gyokuro mit 100 Grad aufgebrüht hat, wird dieses unangenehme Erlebnis vermutlich nicht so schnell vergessen.)
Heute haben viele Teefreunde Wasserkocher mit Temperaturanzeige, vielleicht lässt sie sich sogar auf das Grad genau oder sogar noch feiner einstellen. Aber wie bestimmt man die Wassertemperatur ohne Anzeige oder Thermometer? Die Menschen im alten China wussten sich zu helfen, indem sie die Bläschen beobachteten, die sich im erhitzten Wasser gebildet haben. Anhand der Größe und Anordnung konnten sie abschätzen, wie hoch die Wassertemperatur ist. Zur Veranschaulichung der verschiedenen Stadien hat man ihnen recht amüsante Namen gegeben.
Garnelenauge – kleine, feine Luftbläschen
Krebsauge – etwas größere Luftbläschen
Fischauge – große Luftblasen
Perlenkette – sehr viele, aneinandergereihte Luftblasen
Sturzflut – kochendes Wasser



Fischauge, Perlenkette und Sturzflut wurden bereits in Lu Yu’s „Cha Jing“, dem ersten Buch über Teekultur überhaupt (aus dem 8. Jh.) erwähnt. Drei Jahrhunderte später findet man den Satz: „Wenn die Krebsaugen versiegen, steigen die Fischaugen auf“ in einem Gedicht über Tee des berühmten Dichters Su Dongpo. Die komplette Aufreihung der Begriffe findet sich dann in der Tee-Chronik von Zhang Yuan aus der Ming-Dynastie (Ende des 16. Jh.). Wahrscheinlich ist, dass die Autoren geläufige Begriffe aus dem Volksmund übernommen haben.
Als Merkhilfe dient eines meiner ersten Designs aus der Reihe „Teekultur auf Postkarten“. Ich selbst konnte mir nämlich auch nie merken, welche „Augen“ jetzt welche Temperatur haben sollen. Aber mit der Illustration ist es ganz einfach.
Übrigens: Die Sturzflut (also heftig kochendes Wasser) sollte man möglichst vermeiden. Und wichtig: Andere Kulturen haben andere Methoden. Mehrmaliges Umgießen des kochenden Wassers in Abkühlgefäßen, Dazugeben von kaltem Wasser und das Beobachten des aufsteigenden Dampfes sind nur einige davon.
Quellen:
Lu Yu – 《茶经》 Cha Jing
Su Dong Po - Gedicht《试院煎茶》 Shi Yuan Jian Cha
Zhang Yuan – 《茶录》Cha Lu
Mehr zu Liyang Sheng gibt es auf ihrer Webseite www.teeregen.de oder bei Instagram: @teeregen . Auf der Webseite kann man auch Produkte wie die Postkarten bestellen.